Susies stellt vor:
das glück der langen tafel – erzähl-mahl

 

Ein lebendig-schöner Abend mit Erzähl-Mahl in Hamburg

Zuerst sahen wir uns groß an – und dachten wohl beide: Das ist ja ein Moment wie im Kindergarten. Oder wie man ihn aus einem Film kennt, in dem zum ersten Mal die Teilnehmer einer Gruppe anonymer Alkoholiker aufeinander treffen und sich vorstellen. Doch, hey, als wir mit den Augen rollten, da haben wir auch gedacht, dass uns sowas gar nicht gefallen würde. Aber dann entpuppte sich das eigenwillige Konzept der 3-Wort-Selbstdarstellung als großes Vergnügen. 

Es brachte einen schnellen Wechsel zwischen Ernsthaftigkeit und Albernheit, es lockerte die Stimmung auf, wurde zum großen Spaß, denn wohl jeder saß – wie wir – an der langen Tafel, hing an den Lippen der anderen. Eine Frau sagte über sich: „Spiritualität, lebenslustig, Therapeutin.“ Eine andere: „Kerala, Tanz, Öffnung zur Welt.“ Und die nächste: „Island. Island. Island.“ 

Erzähl Mahl heißt diese Veranstaltung in einem Hamburger Restaurant. Sie ist ein Import aus München. Und die Erfindung zweier Frauen. Barbara kommt ursprünglich aus Slowenien, sie leidet unter der deutschen Eigenbrötlerei, sie vermisst die großen Tisch-Gesellschaften ihrer Heimat, wo riesige Gesellschaften den ganzen Tag mit Essen und Trinken und Reden und Lachen verbringen. Und Katrin sagt, ihr Beruf sei Storytelling und Biographien schreiben. Sie weiß also, wie man Menschen dazu bringt, über sich zu erzählen.

Was uns verblüfft ist, wie gut diese slowenisch-münchnerische Versuchsanordnung in Hamburg angenommen wird. Schon wenige Tage nach Bekanntgabe des Termins war die Veranstaltung ausgebucht. 27 Gäste sitzen in dem Lokal im Karoviertel. 23 davon sind Frauen. Auf der langen Tafel liegen die Speisekarten mit der Menüfolge. Doch dafür interessiert sich gerade niemand. Alle Blicke sind auf Katrin gerichtet, die erst zwei Sektgläser aneinander klingeln ließ, mit uns anstößt auf einen schönen Abend und dann den Ablauf erklärt:

 

 
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Es gebe drei Gänge, und zu jedem mögen die Teilnehmer an einer Seite der Tafel einen Platz aufrücken. Für das Dessert sei diese Regel nicht mehr verbindlich, da könne man sich dahin setzen, wo man wolle. Aber vorher bitte nicht. Und auch die Gesprächsordnung ist vorgegeben. So werden zu jedem Gang Themenkarten verteilt, darauf zwei Vorschläge als Gesprächsstoff. Mit seinem Partner – dem Gegenüber am Tisch – möge man sich zu Beginn des Ganges auf eines der Themen einigen. Und dann muss jeder zehn Minuten von sich erzählen.

Die Themen zum ersten Gang lauten: „Deine Grundschulzeit“ und „Sonntage in deiner Kindheit“. Dazu werden Tipps gegeben, wohl wissend, dass nicht jeder sofort eine Reihe an Assoziationen zu den Themen hat. Und so lautet es auf der Karte: „Familie, Kirchgang, Langeweile, Freiraum, Festbraten“. Zum Hauptgang heißen die Themen „Ein magischer Moment in deinem Leben“ und „Etwas, das dich nicht los lässt“. Und zum Dessert: „Etwas, das du in deinem Leben gewonnen hast“ und „Etwas, das du in deinem Leben noch verwirklichen möchtest“…

Katrin, quasi die Confréncière des Abends, hatte noch einmal darauf hingewiesen, es sei nicht förderlich, wenn sich gute Freunde oder ein Paar einander gegenüber setzten. Und in der Schlussbetrachtung kann man nur sagen: was eine sehr vernünftige Regel ist. Denn erst einmal tendiert man ja dazu, der eigenen Scheu mit einem Stück Vertrautheit entgegenzutreten. Doch der Abend wäre nur halb so schön, halb so stimmungsvoll. Und es war ein sehr stimmungsvoller. Es wurde viel gelacht, aber auch ernst gesprochen, es ging um Reiseträume und Sehnsüchte, um das Scheitern und das kleine Glück im Alltag. Und plötzlich konnte man die eine Teilnehmerin verstehen, die ganz zu Beginn der Veranstaltung sagte, dass dies ihr drittes Erzähl-Mahl sei – sie reise dem Event hinterher. Demnächst soll es auch eine Veranstaltung in Berlin geben.

 

 

Was es zu essen gegeben hat? Wir wissen es nicht mehr genau. Einen Salat zum Start, Fisch oder Fleisch als Hauptgang, einen großartigen Kuchen zum Dessert. Vor allem aber tolle Gespräche und viel Atmosphäre. Die wurde auch durch den Umstand geprägt, dass hier niemand verkuppelt werden sollte. Es war kein Flirt-Abend (auch wenn es in zwei Fällen irgendwie doch so aussah), sondern eine große Tafel. Ungezwungen. Gutgelaunt. Gesprächig. 

Wir immer irgendwie coolen Großstädter wurden aus unserer Großstadt-Hülle rausgeholt. Und waren überrascht, dass ein slowenisch-müncherischer Moment in Hamburg genügte, sich ungezwungen und fröhlich zu geben. 

 

Text: Dirk Lehmann, Fotos: Susanne Baade


Erzähl-mahl

Eine Initiative von Barbara, Matias und Katrin

www.erzaehl-mahl.de

Auf der Homepage werden die neuen Termine und Orte – deutschlandweit – aufgeführt. Hier kann man auch direkt Karten bestellen.